Publikationshighlight - Die Brücke zwischen Forschung und klinischer Diagnostik
Weltweit sind 7% aller Männer von Unfruchtbarkeit betroffen. Eine besonders schwere Form liegt vor, wenn im Ejakulat keine oder nur vereinzelte Spermien gefunden werden können – dies wird als Azoo- bzw. Kryptozoospermie bezeichnet. Der Wunsch nach eigenen Nachkommen lässt sich mit dieser Diagnose nicht selbstständig erfüllen – und assistierte Reproduktion wird für ein Paar relevant. Die einzige Option ist, Spermien durch eine Gewebeentnahme (Biopsie) aus dem Hodens zu gewinnen. Eine Entscheidung dazu fällt jedoch nicht immer leicht.
Bei etwa 50% der Männer mit Krypto-/Azoospermie kann trotz umfangreicher Diagnostik kein eindeutiger Grund für die Unfruchtbarkeit festgestellt werden. Eine Beratung und klare Empfehlung für oder gegen einen operativen Eingriff kann es deswegen in vielen Fällen nicht geben. Nun ist es Forschenden um Margot Wyrwoll, Corinna Friedrich und Frank Tüttelmann vom Institut für Reproduktionsgenetik gelungen, die diagnostische Relevanz von insgesamt 60 Genen, die bereits im Kontext männlicher Unfruchtbarkeit beschrieben wurden, zu bestimmen.
Die dabei gewonnenen Erkenntnisse wurden jetzt in der kürzlich erschienenen Publikation im renommierten Journal 'European Urology' zusammengetragen: In einem Zeitraum von vier Jahren wurde eine große Prospektivstudie mit 647 Männern durchgeführt. Insgesamt wurden bei jedem Probanden 60 Gene analysiert, die zuvor schon als ursächlich für männliche Infertilität beschrieben wurden. Die identifizierten genetischen Veränderungen ('Mutationen') wurden nach klinischen Kriterien bewertet, um ihre Bedeutung für die Unfruchtbarkeit zu bestimmen. Dazu machte sich das Team bestimmte Standard-Klassifikationssysteme innerhalb der Genetik zu Nutze. Zusätzlich wurden die Gene nach den Vorgaben der Clinical Genome Resource (ClinGen), einer Institution, die das Wissen und die Vereinheitlichung auf dem Gebiet der Genetik und Gesundheit optimieren will, kategorisiert. Diese ermöglichen es abzuschätzen, wie sicher ein Gen mit einer bestimmten Erkrankung, in diesem Fall männlicher Infertilität, assoziiert ist. So ist es gelungen, bei 55 Patienten (8,5%) nun die zuvor fehlende Diagnose zu stellen. Damit kann bei Mutationsträgern auch die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Hodenbiopsie besser eingeschätzt werden. Die Abbildung visualisiert diese Ergebnisse – grün steht für eine erfolgreiche Hodenbiopsie, rot für keinen Spermiengewinn nach einer Biopsie. Können jedoch tatsächlich Spermien gefunden werden, hat das Paar die Möglichkeit, mit Hilfe von assistierter Reproduktion dem Wunsch nach einem gemeinsamen Kind nachzukommen!
Die Studie konnte letztendlich aufzeigen, dass 21 Gene ein ausreichend hohes Evidenzlevel besitzen, um sie in die klinische Anwendung zu integrieren. Das wiederum verbessert eine individuelle Beratung und Behandlung für eine Vielzahl von Männern, die bislang ohne kausale Diagnose für ihre Unfruchtbarkeit blieben. Damit bildet diese Arbeit ein Paradebeispiel translationaler Forschungsansätze – eine Brücke zwischen Forschung und Klinik! Das Team aus der Reproduktionsgenetik will auch in Zukunft weiter daran arbeiten, die Anzahl ungeklärter Fälle von Unfruchtbarkeit zu reduzieren und die diagnostische Bandbreite zu erhöhen. Wir freuen uns schon auf kommende Erkenntnisse!